Ein Wendepunkt im Leben des großen Dichters
Am Samstagabend lud das Faust-Museum Knittlingen zu einer poetisch-musikalischen Reise ein. Im Zentrum stand Goethes Italienreise von 1786 bis 1788 – ein prägender Abschnitt im Leben des Dichters, der als Wendepunkt seines künstlerischen Schaffens gilt und als Voraussetzung für sein späteres Meisterwerk Faust. Das Trio mit Schauspielerin Dorothea Baltzer, dem Literaten Frank Ackermann und dem Akkordeonisten Frank Eisele präsentierte eine beschwingte Mischung aus Rezitation, historischer Einordnung und Musik mit italienischem Flair.
Auf der Suche nach Freiheit und Inspiration
Vor einer Bühne, geschmückt mit Oleander und Olivenbäumen, fühlten sich die Gäste wie auf einer Gondelfahrt durch Venedig. An den Säulen hingen malerische Darstellungen jener Städte, in denen Goethe in Italien Station gemacht hatte. Als das Akkordeon das Trinklied Brindisi aus Verdis La Traviata erklingen ließ, war das italienische Lebensgefühl greifbarspätestens jetzt fühlte sich das Publikum im vollbesetzten Saal versetzt in jenes „Land, wo die Zitronen blühen“. Goethes Schaffenskraft war schon lange vor dieser Reise ins Stocken geraten. Mit den Leiden des jungen Werther hatte er einen literarischen Erfolg erzielt, doch der administrative Alltag als Geheimrat in Weimar lähmte zunehmend seine Kreativität. Ohne Adieu reiste er 1786 ausgehend von Karlsbad in Richtung Süden – auf der Suche nach Freiheit und Inspiration. Italien, seit der Renaissance Sehnsuchtsort der europäischen Bildungselite, wurde für ihn zum persönlichen Neuanfang. Unter den Pseudonymen Philipp Möller und Philippe Miller reiste er inkognito, weil er nicht als der weltberühmte Goethe erkannt und behandelt werden wollte. Er lebt zusammen mit dem kongenialen Maler Tischbein, Urheber des weltberühmten Goethe-Porträts, in einer WG, besucht die Kulturstätten und frönt der Liebe. In seinen Römischen Elegien beschreibt er sinnlich: Er sehe „mit fühlenden Augen“ und fühle „mit sehenden Händen“. Er nennt sich selbst den ,freien, rüstigen Fremden“, an dem sich seine Geliebte erfreue, „die Flammen teilend, die sie in seiner Brust entzündet“ *. Nach der Pause folgte der fulminante Abschluss – sowohl der Italienreise als auch der szenischen Lesung: der ausgelassene, derbe Karneval in Rom als ein rauschhaftes
Fest der Sinne. Wie von Goethe beseelt
Das Zusammenspiel von Kommentar, Rezitation und Musik fügte sich ausgewogen zu einem schillernden Ornament. Der philosophische Schöngeist Frank Ackermann bewies sich in Komposition und Auswahl dieser Elemente als echter Goethe-Kenner in Leben und Werk Dorothea Baltzer brachte die originalen Texte aus Tagebüchern, Elegien und Briefen mit großer Lebendigkeit und Intensität zu Gehör – fast, als sei sie vom Dichter selbst beseelt. Der Akkordeonist beeindruckte mit schnellen Läufen, die seine Finger wie galante Tausendfüßler spielten. Mit kecken Anschlägen und einer spritzigen Interpretation brachte er das Lied „Azzurro“ zum Klingen. Im ekstatischen „Lambada“ stieg die gleißende Sonne Italiens auf, dargestellt durch kurze, flimmernde Töne, die von leise zu laut anschwellten. Das letzte Stück, „Arrivederci Roma“, klang sentimental und voller Sehnsucht – zugleich geprägt von einer überschäumenden Energie, die Goethe zu neuer Schaffenskraft inspirierte. Es war eine Reise voller Glück, die den gordischen Knoten seiner Schaffenskrise zum Platzen brachte. Der Weg zum klassizistischen Goethe war geebnet und auch sein Drama „Faust“ konnte geboren werden. Das Publikum war begeistert und ließ den beeindruckenden Abend bei einem Glas Wein mit anregenden Gesprächen Revue passieren.
Lilli Weber (Mühlacker Tagblatt am Montag, den 08.07.2025)
