In meinem Urlaub in Gmunden am Traunsee hatte ich in den letzten Jahren immer Hermynia Zur Mühlen und Jakob Wassermann gelesen. In diesem Jahr las ich den Roman „Die Möglichkeit eines Wunders“ von Jan Schomburg: Die Gräfin Vitzthum hatte mir das Buch geschenkt, da dessen Protagonist, der Psychologe und Parapsychologe Albert von Schrenck-Notzing, der Schwiegersohn von Gustav Siegle war. Über ihn und seine Familie hatte ich vor einigen Jahren ein Buch geschrieben: „Die Villa Gemmingen und das Gustav Siegle-Anwesen auf der Karlshöhe“. Darin kommen auch Albert v. Schrenck-Notzing und seine Frau Ella vor, Tochter des Gustav Siegle. Insofern interessierte mich die „Möglichkeit eines Wunders“ durchaus.
Aber was soll ich sagen? Es ist ziemlich missraten. Die erste Hälfte ist noch passabel, weil der Autor sich da an die „realen Personen und Vorgänge“ hält. Da aber das Leben des Albert v. Schrenck-Notzing offenbar weniger interessant ist als seine Experimente und Forschungen, als seine angeblich übersinnlich begabten Medien, als das kuriose Ektoplasma usw., wird in der zweiten Hälfte die sozusagen unspektakuläre Biographie verlassen – zugunsten einer kruden Phantasmagorie.
Tatsächlich starb nämlich Albert v. S.-N. bereits im Jahr 1929. Ella überlebte ihn um mehr als zwanzig Jahre; sie starb 1953 in der Villa Siegle in Ammerland am Starnberger See, wo übrigens die Nachkommen heute noch leben.
Aber der Autor verkehrt diese Fakten und lässt Ella bereits Ende der 20-er Jahre bei einem Flugzeugabsturz sterben, wodurch Albert aus der Bahn geworfen wird und sein Leben sich vollkommen wendet. Er reist nach Haiti, erlebt hier den Voodoo-Hokuspokus als eine neue, als eine wunderbare und wahrhaftige Realität, in der er sich für mehr als zehn Jahre verliert – bis ein (historisches) Massaker ihn in die alte, in die abgestreifte und abgelegte Wirklichkeit und nach München zurückbringt – gerade noch rechtzeitig, um da den Nazi-Terror im eigenen Palais zu erleben usw.
Ich nehme an, dass der Autor zufällig auf einen Bericht über jenes Massaker stieß (vielleicht bei einem Urlaub in der Dominikanischen Republik), dass er dazu recherchierte und ebenso über die Zombies und den Voodoo-Kult, und er dann auf den Einfall kam, das eine (die Person des Schrenck-Notzing) mit dem andern (der Haiti-Geschichte) zu verknüpfen. Aber ebenso gut hätte er den „Geisterbaron“, wie Schrenck-Notzing von Thomas Mann genannt wurde, auch mit Lambarene und Albert Schweitzer oder mit Tibet und dem Dalai Lama verknüpfen können: Das eine ist so willkürlich wie das andere.
Fazit: Ein missratenes, mich sehr enttäuschendes Buch. Im nächsten Jahr werde ich wieder Jakob Wassermann lesen oder ein neues Buch von Hermynia Zur Mühlen vorbereiten
