Eigentlich sollte als unser nächstes Buch die Fünfzig ausgewählten Gedichte von C. F. Meyer erscheinen, aber kurzfristig haben wir umdisponiert: Wir haben ja zum 150. Todestag von Georg Herwegh am 7. April 2025 eine (hoffentlich gut besuchte) Veranstaltung im Stuttgarter Hospitalhof. Und dazu ist jetzt ein Herwegh-Buch erschienen, das Zweiundzwanzig Gedichte von ihm enthält. Ergänzend kommen hinzu sein Aufsatz „Schiller und seine Statue“ und ein Anhang über den jungen Herwegh in Stuttgart, in dem ich insbesondere die Hintergründe seiner Flucht beleuchte. – Hier der Anfang der Einleitung:
Von Herweghs Werk sind heute nur noch zwei Verse allgemein bekannt; sie haben sich verselbstständigt und sind zu geflügelten Worten geworden: „Alle Räder stehen still, / Wenn Dein starker Arm es will.“
Zwar wird auch das „Bundeslied“, in dem diese Verse stehen, noch hier und da gesungen, aber die wenigsten wissen, dass das Lied von Herwegh stammt, dass er es im Auftrag von Ferdinand Lassalle schrieb, anlässlich der Gründung des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“, aus dem die SPD hervorging.
Ansonsten ist Herwegh heute ziemlich vergessen, und dies, obwohl er mit seinen „Gedichten eines Lebendigen“ der erfolgreichste und gefeiertste Dichter des literarischen Vormärz war. Zu dieser Vergessenheit trugen mehrere Faktoren bei: Abgesehen davon, dass er schon zu seinen Lebzeiten viel geschmäht wurde wegen seiner Teilnahme an der 1848er-Revolution, und mehr noch, weil er so ziemlich der einzige Dichter war, der mit scharfen Worten das neugeschaffene Deutsche Kaiserreich angriff – abgesehen davon, spielte auch der Umstand eine Rolle, dass Herwegh nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR entdeckt und wiederbelebt wurde: Herwegh wurde einseitig zum Arbeiter-Dichter deklariert, zum Vorkämpfer und Wegbereiter des „real existierenden Sozialismus“. Er fand Eingang in die DDR-Schulbücher und es gab sogar eine Briefmarke mit seinem Bild.
Aber diese Anerkennung und Vereinnahmung durch die DDR führte in West-Deutschland zu der geradezu reflexartigen Reaktion, ihn als einen missliebigen und unbedeutenden Dichter zu betrachten.